Bildrhetorik zwischen Gefühl und Vernunft
Die Visuelle Kommunikation der Schweizerischen Bundesbahnen von 1902 bis 2022
Die Visuelle Kommunikation der Schweizerischen Bundesbahnen SBB ist Teil eines Gestaltungssystems, das neben der explizit visuell-verbalen Kommunikation auch implizit durch Leistungen in anderen Designfeldern, wie etwa im Industriedesign und der Architektur, das Alltagsbild der Bundesbahnen für ihre (potenziellen) Nutzer*innen prägt. Im Rahmen des Forschungsprojekts SNF 208039 «Designgeschichte der SBB – Gestaltung in einem komplexen System», unter der Leitung von Prof. Dr. Sarah Owens und gefördert vom Schweizerischen Nationalfonds SNF, untersucht das hier dargelegte Dissertationsprojekt neben anderen Teilstudien die Geschichte der Visuellen Kommunikation der SBB und schafft einen bislang ausstehenden designgeschichtlichen Überblick. Der Fokus liegt dabei auf dem Personenverkehr und nicht dem Gütertransport, der die zweite grosse Dienstleistung der SBB darstellt.
Seit der Gründung des größten Schweizer Verkehrsunternehmens im Jahr 1902 war der aus der Werbeorganisation der Jura-Simplon-Bahn hervorgegangene Publizitätsdienst SBB für Kommunikation und Werbung verantwortlich. Dazu wurde im Jahr 1921 der SBB-Pressedienst ins Leben gerufen und im Frühjahr 1924 etwa das «SBB-Nachrichtenblatt» lanciert. Anfang der 1930er-Jahre wurde der Fotodienst SBB gegründet, der in den folgenden Jahrzehnten mit dokumentarischen Fotografien, Gebrauchs- und Werbefotografien das mediale Bild der Bundesbahnen mitbestimmte. Im Verständnis von Design als sozialer Praxis gilt es zum einen die Organisationsstrukturen und Verantwortlichkeiten der (internen) Akteur*innen der Visuellen Kommunikation sowie den Wandel der Beziehungsnetze möglichst umfassend aufzuarbeiten. Hierbei untersucht das Dissertationsprojekt auch die Aufteilung zwischen den verschiedenen Diensten und Instanzen sowie extern beauftragten Personen.
Zum anderen soll die Vielfalt der in der Visuellen Kommunikation der SBB eingesetzten Werbemedien und Kommunikationsmittel (u. a. Plakate, Fotografien und Filme, Anzeigen, Broschüren und Zeitschriften, Ausstellungen, digitale Medien) mit Schwerpunkt (Schrift-)Bildmedien und unter Beachtung der Schweizer Mehrsprachigkeit ausgelotet werden. Je nach Periode bilden interne Gestaltungsrichtlinien, das einprägsame Logo, spezifischen Farben und eine Hausschrift im Kontext des Corporate Design den Ausgangspunkt dafür.
Insgesamt stellt sich die Frage nach der Existenz und Beschaffenheit der Medienstrategie des Unternehmens über die Zeit, wobei mögliche Veränderungen des Auftretens in Bezug auf ihre Kontexte herausgearbeitet werden. Von Interesse ist, inwiefern solche Phasen und Brüche von betriebsinternen oder externen gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Dynamiken beeinflusst wurden; und inwieweit die Visuelle Kommunikation der SBB anhand der Themen, die (nicht) beworben wurden, zeitgenössischen Umstände widerspiegelt.
Mittels drei analytischer Fallstudien soll die Visuelle Kommunikation der SBB greifbar gemacht werden. Deren Ausrichtung und Eingrenzung orientierten sich zunächst an den folgenden historischen Phasen:
1. der touristischen Reise- und Verkehrswerbung der Anfangsjahrzehnte
2. der Zeit der «fröhlich werbenden SBB» (Seger 2005) in den 1950er- bis 1970er-Jahren, und
3. der Zeit der grösseren Werbe- und Marketingkampagnen in den 1980/90er-Jahren
sowie einem ergänzenden Ausblick auf die jüngste Visuelle Kommunikation der SBB. Aus der jeweiligen Periode sollen Werbemittel, die als besonders aussagekräftig für jenen Zeitraum gelten können, einer vertieften Analyse unterzogen werden; darunter je ein Plakat oder eine Plakatkampagne, ein Bewegtbild und eine Zeitschrift sowie flexibel je nach Periode ein massgeblich ergänzendes Medium.
Mit dem Ziel der Rekonstruktion des Zusammenwirkens unterschiedlichster Designfelder und Akteur*innen in der Unternehmensgeschichte der SBB im Sinne eines Corporate Design verknüpft das Forschungsprojekt methodisch umfangreiche Archiv- und Literaturrecherchen mit der Befragung von Zeitzeug*innen (Oral History) und Werkanalysen. «Im Kontext der Werbemittel sowie Print- und online-Publikationen fragt [das Teil- respektive Dissertationsprojekt] nach der Bildproduktion, den Bildstrategien, der Pragmatik der Bilder und der Publikumsorientierung, wobei technische, kompositorische und gesellschaftliche Aspekte berücksichtigt werden» (s. Forschungsantrag, Owens 2021). Gemäss der interdisziplinären Ausrichtung des Forschungsprojekts werden v. a. im Rahmen der geplanten Fallstudien zudem Ansätze der Bildwissenschaft (Paul 2017) und Visuellen Kommunikationsforschung (Lobinger 2019, Renner 2017) herangezogen sowie des Forschungszweigs «Design als Rhetorik», der die unterschiedlichen Aspekte und Ebenen des Forschungsgegenstands abdeckt: In Verbindung der visuell-verbalen Botschaften und ihrer Verbreitung, der gestalterischen Praxis, unternehmensinternen Strukturen und Herstellungsbedingungen soll «[...] unsere gestaltete Welt nicht nur aus der Position der Rezipient[*inn]en interpretier[t], sondern diese Interpretation durch eine Betrachtung der [medialen] Praxis bereicher[t] und ergänz[t] [werden]» (Jost/Scheuermann 2008). Für aktuelle Entwicklungen unterstützen Ansätze integrierter Kommunikation (Bruhn/Boenigk 1999) und von Crossmedia.