Health we go!
Wie Design die (digitale) Gesundheitsversorgung revolutioniert: drei innovative Projekte.
Der Erhalt unserer Gesundheit, ihre Beeinträchtigung beziehungsweise Wiederherstellung sind ein Dauerthema. Innovative Technologien liefern Lösungsansätze, neue Zugänge eröffnen unerwartete Perspektiven, sich verändernde Bedürfnisse beeinflussen unser Verhalten. Dabei zeigt sich eines klar: Komplexe Herausforderungen verlangen nach interdisziplinärer Zusammenarbeit.
Im Departement Design der ZHdK werden seit über zehn Jahren Forschungs- und Entwicklungsprojekte (F&E-Projekte) mit Partner:innen aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitssystems umgesetzt. Der Health Design Cluster am Institut für Designforschung dient den Projekten als gemeinsame Plattform, um dieses Feld weiterzuentwickeln. Das Design fokussiert im Gesundheitskontext auf Schwerpunkte wie Care Futures, Ageing, Health Technologies, Games for Health, Sports and Physical Activity oder Digital Health und fungiert als Innovationstreiber an den Schnittstellen der Fachgebiete und darüber hinaus.
Interdisziplinäres Living Lab für Digital Health Design
Der Digitalisierung kommt auch im Gesundheitsumfeld zentrale Bedeutung zu. Sei dies in Form von virtuellen Arztbesuchen, KI-basierten Selbstdiagnose-Apps oder technologiebasierter Rehabilitation und Fitnesstraining in Extended Realities. Tracking und permanente Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten erlauben uns, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen und unsere Gesundheit aktiv zu gestalten. Entscheidend ist dabei, dass Therapeut:innen, Ärzt:innen und Fachpersonal massgeschneiderte Behandlungsstrategien konzipieren, die auf immer umfangreicheren Daten und komplexeren Zusammenhängen basieren. Um dies zu tun, müssen sie auf nachvollziehbar aufbereitete und gestaltete Daten zugreifen können.
Das Digital Health Design Living Lab (DHD Living Lab) – eine von der Digitalisierungsinitiative der Zürcher Hochschulen (DIZH) geförderte Struktur – vereint die drei Zürcher Hochschulen ZHdK, UZH und ZHAW, medizinisches Fachpersonal, Patientenorganisationen und die Öffentlichkeit mit dem Ziel, neue und praktikable Ideen für die Gesundheitsversorgung der Zukunft zu entwickeln. Dabei bezieht das Living Lab Patient:innen, Angehörige und die Öffentlichkeit mit ein, um deren Bedürfnisse und Wünsche zu verstehen. Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit wird das Vertrauen ins Gesundheitswesen gestärkt.
Co-Creation am Beispiel von Exergames
Exergames sind bewegungsbasierte Spiele. Sie verbinden mithilfe digitaler Gaming-Technologie körperliche Aktivität mit einem unterhaltsamen Erlebnis. Sensoren erfassen dabei Körperbewegungen, die zur Steuerung des Spiels nötig sind. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse können dann gezielt körperliche, mentale und kognitive Funktionen sowie individuelle Trainings optimiert werden. Exergames finden heute Anwendung in den Bereichen Sport, Fitness und Rehabilitation.
Idealerweise stützt sich die Entwicklung solcher Spiele auf die Zusammenarbeit eines interdisziplinären Teams mit Expertise in Sportwissenschaft, Game-Design und Human-Computer Interaction. Die interdisziplinäre und iterative Designforschung spielt dabei eine entscheidende Rolle.
In Fokusgruppen mit beispielsweise Sportler:innen oder Therapeut:innen werden zunächst grundlegende Anforderungen an Exergames ermittelt. Wo, wie und wann sollen diese genutzt werden, wie sollen sie idealerweise gestaltet sein? Welches Bewegungskonzept eignet sich und welche Technologie soll zum Einsatz kommen?
In ersten Konzepten werden Bewegungsabläufe definiert, die auf trainings- und bewegungswissenschaftliche Erkenntnisse abstützen und durch Bodystormings – eine kreative Methode, bei der physische Interaktionen und Erfahrungen durchgespielt werden, um Ideen zu generieren – in Fluss gebracht werden. Die dabei erzeugten Effekte sollen sich möglichst spielerisch anfühlen. Gleichzeitig können Controller-Eigenschaften von der gestenbasierten Spielsteuerung bis zur haptischen Interaktion ausgelotet werden. Das audiovisuelle und das narrative Design sind weitere zentrale Punkte. Die Konzepte werden anschliessend in interaktive Prototypen überführt und in Studien mit der Zielgruppe evaluiert. Dabei kommen häufig sowohl qualitative als auch quantitative Methoden zum Einsatz, welche die Qualität der Designelemente und deren Zusammenspiel analysieren. Basierend auf diesen Tests, wird der Forschungs- und Entwicklungsprozess mit einer Trainingsintervention abgeschlossen, welche die Trainingseffekte und das Spielerlebnis analysiert.
Nach einigen Iterationsschleifen entstehen so nicht nur neue interdisziplinäre Forschungserkenntnisse, sondern auch ein finales Produkt mit Alleinstellungsmerkmalen und nachweislicher Wirkung, das tatsächlich zur Anwendung kommt. Gefördert wurden diese Exergame-Projekte von Organisationen wie Innosuisse, AAL der DIZH und dem Sportfonds des Kantons Zürich.
Digitale Ferntestmethoden am Beispiel von 3FOLD
Herzschrittmacher steuern den Herzrhythmus von Herz-Kreislauf-Patient:innen. Die Hylomate Pouch – eine schützende Hülle aus biosynthetischem Material – minimiert die Fremdkörperreaktion auf diese Geräte und verbessert so deren Integration. Sie ist so konzipiert, dass der Herzschrittmacher unmittelbar vor der Implantation in einem aseptischen und zeitsparenden Verfahren mit ihr umhüllt werden kann.
Das von Innosuisse unterstützte F&E-Projekt 3FOLD fokussierte auf nutzerzentriertes Design und Rapid Prototyping, um ein faltbares Applikationsinstrument zu entwickeln. Dieses ermöglicht einen sicheren und schnellen chirurgischen Eingriff, bei dem der Herzschrittmacher in die Hylomate Pouch eingesetzt wird. Zusätzlich wurde auch eine digitale Designmethode entwickelt, die Remote Usability Testings von physischen Produkten ermöglicht.
Zu diesem Zweck wurde zunächst die Umgebung, in welcher der Eingriff erfolgen soll, analysiert und für Ferntests reproduziert. Dann erhielten die Kardiolog:innen und Herz-Thorax-Chirurg:innen alles physische Material und bauten dieses selbstständig auf. Per Videokonferenz wurden dann das Sichtfeld und die Beleuchtung kontrolliert und die Testings von den Forschenden moderiert und aufgezeichnet. Im Anschluss beantworteten die Proband:innen einige qualitative Fragen zu den Testings. Jedes aufgezeichnete Video wurde von mehreren Personen unabhängig und nach klaren Richtlinien analysiert. Die gewonnenen Daten und Erkenntnisse flossen in die Weiterentwicklung des Produkts ein und führten zum finalen Design.
Die neu entwickelte Methode hat sich bewährt: Sie erlaubt ein flexibles Terminmanagement mit Chirurg:innen, erspart die zeitintensive und kostspielige Anreise sowie die Installation eines Testaufbaus und dient nun als Grundlage für weitere Ferntests bei der Entwicklung physischer Medizinprodukte.
Mit «Mind the Patient» die Perspektive wechseln
Wie aber kommen Ärzt:innen und Patient:innen im Alltag zielführend voran? Wie lassen sich bei der Wahl einer Behandlung unter Berücksichtigung persönlicher Präferenzen gleichberechtigt Entscheide fällen? Diesen Fragen geht das «Mind the Patient»-Projekt nach, das sich am Shared-Decision-Making-Prozess (SDM-Prozess) orientiert. Um den Prozess optimal zu gestalten, hat das DHD Living Lab die Ansprüche an ein digitales Werkzeug definiert, das persönliche Werte und Präferenzen sichtbar machen soll.
Statt papierbasierte Produkte eins zu eins ins Digitale zu übertragen, entschied man sich für eine neue, analoge Herangehensweise. Dabei orientiert sich der SDM-Prozess an der realen Situation und macht diese multisensorisch erlebbar. Dieses immersive Eintauchen in eine Situation, die Abwägungen und Entscheide verlangt, kann Proband:innen dabei helfen, zu klären, was dies in ihnen auslöst.
Das experimentelle Forschungsdesign ermöglichte es Testpersonen mit medizinischem oder medizinisch-ethischem Hintergrund, ihre Perspektive zu wechseln und Entscheidungssituationen immersiv zu erleben. Spielerische Ansätze luden in drei Räumen zur Exploration von Karten als Artefakte (eine «Auslegeordnung» machen), Farben, Licht und Klängen ein. Die Kleingruppen zirkulierten durch die drei Räume und nahmen dabei verschiedene Rollen ein. Ihre Erlebnisse hinsichtlich Information, Interaktion und Emotion dokumentierten sie mithilfe der Think-Aloud-Methode. Eine Fokusgruppe diskutierte in der Folge die Ergebnisse und leitete Ansätze für das digitale Design eines SDM-Tools ab.
Ausblick
Auf den Gesundheitsbereich kommen zahlreichen Herausforderungen zu. Genauso zahlreich sind aber auch die Potenziale, die mit neuen Technologien und Innovation erschlossen werden können. Um im Rahmen der Forschung und Entwicklung neue Produkte und Dienstleistungen realisieren zu können, kommt dem Design bei der Gestaltung und Mediation eine gewichtige Rolle zu.
Grundlage dafür sind speziell ausgebildete und interdisziplinär geprägte Fachkräfte zur Begleitung solcher Prozesse. Gleichzeitig sollen Mediziner:innen, Gesundheitsfachleute, Coaches und Therapeut:innen Einblicke in die Designpraxis erhalten. So arbeitet das DHD Living Lab an gemeinsamen Angeboten im Bereich der Lehre und Weiterbildung. Zudem bietet das Departement Design mit dem Health Design Think Tank eine Summer School zum Thema an und ein neues Minor-Angebot widmet sich dem Health Design.
Ergänzend veranstaltet das DHD Living Lab regelmässig Healthathons, in deren Rahmen interdisziplinäre Teams Lösungen für reale Fälle erarbeiten. Das Netzwerk des DHD Living Lab wächst und ist offen für neue Partner:innen, die an der gemeinsamen Ausgestaltung der Gesundheitsversorgung von morgen mitwirken möchten. Health we go!